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INTERVIEW mit Professor Dr. Wulf Herzogenrath, Direktor der Kunsthalle Bremen

Susanne Hinrichs und Georg Elbn anläßlich der Videonale 12, Kunstmuseum Bonn





"Der Videokünstler ist weder der Dekorateur der Fernsehsendung noch der Aktionist in der Schausammlung des Museums – er ist ein Künstler, der anstelle eines Bleistifts oder Meißels eben eine Videokamera führt und zur Wiedergabe seiner Ideen nicht einen Sockel oder Nagel an der weißen Ausstellungswand, sondern ein oder mehrere Fernsehgeräte oder Projektoren braucht.“ Wulf Herzogenrath in: „Videokunst in Deutschland 1963-82“, Ausstellungskatalog,1983, Kölner Kunstverein

Georg Elbn/Susanne Hinrichs: Videokunst begegnet uns heute überall. Es gibt einige speziell auf Video- und Medienkunst ausgerichtete Häuser, wie das ZKM Karlsruhe oder auch das Edith-Ruß-Haus in Oldenburg. Es gab auch einige große Videoausstellungen, trotzdem haben viele Museen immer noch Berührungsängste, vor allem wegen der Technik. Ist das Ausstellen von Videokunst heute einfacher geworden?
Wulf Herzogenrath: Wenn wir uns an die 1970er Jahre erinnern, als es noch die Bänder gab, macht die heutige Technik das Ausstellen von Videokunst deutlich leichter. Wir empfanden damals schon die Einführung der Video-Disc als einen großen Fortschritt, weil somit wenigstens die Permanenz gewährleistet war. Die Projektion war früher äußerst mühsam und sehr teuer. Das hat sich alles unglaublich verändert, der Markt hat sich dadurch gewandelt, auch die Wahrnehmung und die Präsenz. Von daher hängt immer auch die Technikgeschichte mit der Entwicklung der Videokunst zusammen. Durch die Videoprojektion kann der Zuschauer, seine Wahrnehmung und Erlebnisfähigkeit, viel besser erreicht werden. Das heißt, die Wahrnehmung hat damit zu tun, ob ich „nur“ Videobänder mache, wie wir sie in den 1970/80er Jahren nannten, die für einen Monitor gedacht waren und damit natürlich immer ein kleineres Publikum erreichten, oder ob ich mit einem Raum als Installation mit Vielfach-Projektionen auf den Zuschauer, auf den Kritiker, auf den Kurator einwirken kann. Ich denke, das ist schon ein Entwicklungssprung, der positive Wellen ausgelöst hat und sich auch auf dem Kunstmarkt niederschlägt.

GE/SH: Was bedeutete dieser Entwicklungsschritt für das Kuratieren von Videokunst?
WH: Wenn wir die 1970er und 1980er Jahre betrachten, gibt es nur wenige Namen, die immer wieder auftauchen; nehmen wir einmal Nam June Paik als ein Beispiel, der sehr clever verstand, dass, seine Arbeiten, wenn der Ton nicht so laut war, auch in einer Gruppenausstellung präsent sein konnten. Seine „Monitorkreise“ aus 60, 70 Monitoren, die ohne Ton funktionierten, nutzten die Videotechnik auf eine Weise, die sie auch „verträglich“ mit Malerei, Environment und Skulptur in einer Großausstellung machten.
Die Probleme gab es immer dort, wo man abschotten musste, wo man kleine „Ghetto-Bildungen“ hatte, in denen sich die Videokunst aus praktischen Gründen zusammenzog. Ein anderes Beispiel sind die großen Räume mit Projektionen und starken akustischen Einflüssen. Marie-Jo Lafontaines „Les armes d´acier“ (1987) musste laut und kraftvoll tönen und dominierte den ganzen Raum auf der documenta 8, 1987 in Kassel; den Raum, in dem auch andere Arbeiten präsentiert werden sollten. Von daher ist ganz klar, dass die Präsentation, die Architektur, aber auch die Verhinderung der Ausbreitung des Klanges bedacht werden muss. Im ZKM konnte das sehr schön mit der fest eingebauten Architektur gelöst werden, und auch Julia Stoschek gelingt in der Präsentation ihrer Sammlung in Düsseldorf eine präzise Inszenierung, durch die sich jedes Stück in einem mehr oder weniger eigenen Raum visuell und klanglich entfalten kann. Das ist natürlich die perfekte Form. Die Museen haben es da etwas schwerer, zu jeder Ausstellung einen entsprechenden Aufbau zu realisieren, weil dieser Aufwand sehr zeit- und geldraubend ist.

GE/SH: Diese Problematik ist eine zentrale Überlegung für die Videonale. Sie versucht seit einigen Jahren immer wieder neu, ein Ausstellungskonzept wie ein Passepartout-System zu entwickeln, um den Besucher nicht in einer Aneinanderreihung von Black Boxes gefangen zu nehmen. Die Besucher, auch die Profis, sind nicht mehr bereit, in den 37sten dunklen Raum zu gehen, auch wenn darin jedes Video – bei entsprechendem architektonischen Aufwand – ungestört zu sehen ist.
WH: Genau diese Situation bemängelten in den 1980er/90er Jahren viele Kritiker. Sie hatten die Vorstellung, eine Ausstellung oder Biennale in drei Stunden ablaufen zu können, was die Präsentation von Videokunst in jeweils eigenen Black-Boxes nicht zuließ. Der daraufhin entstandene Unmut schlug sich dann oftmals unmittelbar in der Kritik nieder. Das Publikum dagegen hat, so meine Erfahrung, in dieser Hinsicht viel mehr Geduld. Es verweilt in den Räumen und ist fasziniert vom bewegten Bild. Es ist hoch interessiert, ein Gesamterlebnis zu haben, mit bewegten Bildern, Klang oder Mehrfachprojektionen.

GE/SH: In Ihrem eigenen Museum bewältigen Sie einen Spagat zwischen Videokunst und 600 Jahren Kunstgeschichte. Lässt sich ein Publikum mit Vorlieben für van Gogh oder die Klassische Moderne für Videokunst gewinnen?
WH: Diese Frage betrifft in erster Linie die inhaltliche Struktur eines Hauses. Unsere ständige Sammlung, die nun mal 600 Jahre Kunstgeschichte, von Masolino bis heute zeigt, muss auch Aktuelles aufnehmen können. Das ist auch für den normalen Besucher verständlich. Wenn aktuelle Positionen in die Chronologie eingestreut werden, dann gibt es vielleicht Irritationen. Unser Prinzip ist daher, passende Werke mit Fotografie oder Video als inhaltliche Ergänzung zur alten Kunst einzubauen, und das wird äußerst gut angenommen.
Wir hatten ehrlicherweise mit Protest gerechnet, als wir ein Video von Bill Viola im Renaissance-Mittelalter-Raum aufstellten, eine Fotografie von Cindy Sherman zwischen Portraits um 1800 oder Shigeko Kubota mit dem Duchamp-Fenster gegenüber von Caspar David Friedrich aufgestellt haben. Aber diese Ergänzungen, wie ich sie nenne, und wie sie auch ein sehr großer Teil des Publikums empfindet, werden vielleicht sogar noch besser akzeptiert, als wenn ein modernes Bild daneben hinge, weil so dem Besucher eher klar wird, dass der Inhalt der Kunst gleich bleibt und etwas mit unserer Zeit zu tun hat, - nur die mediale Umsetzung der Themen als Malerei oder in Pixeln hat sich verändert!
Es ist ein Sich-Einlassen auf das, was Künstler heute bei einem vergleichbaren Thema bearbeiten, nur mit anderen Medien und anderen technischen Möglichkeiten. Denn die Themen der Kunst haben sich ja ebenso wenig geändert, wie der Mensch selber. Wir betrügen, wir lieben uns, wir führen immer noch Kriege. Es findet sich alles das wieder, was auch schon auf mittelalterlichen Gemälden zu sehen war; die Freude über die Geburt und der Schrecken über den Tod: Das sind Themen die bleiben. Und wenn Peter Campus eine visuelle Paraphrase über den 11. September gestaltet, die im Raum der Deutschrömer hängt, in dem idealisierte Vorstellungen deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts zu sehen sind, gehen diese Anregungen weiter, als es eine reine Konfrontationen von Stilhaltungen könnte.
Ich glaube, dass dieser Versuch, neben alte Malerei nicht moderne Malerei zu hängen, sondern stattdessen die jahrhunderten alten Bilder mit einer modernen Haltung zu konfrontieren, die mit zeitgenössischen Medien denselben Inhalt bearbeitet, hier gelungen ist. ‚Ghetto-Museum‘ oder ‚Ghetto-Räume‘ für Videokunst sind in mancher Hinsicht vorteilhaft. Aber Ich empfinde es als große Chance, ein Museum zu führen, welches eben nicht auf bestimmte Jahrhunderte – wie z. B. in Köln, Berlin oder München – ist, sondern die Gegenwart so einbeziehen kann, dass eine Begegnung zwischen Altem und Neuem auch wirklich stattfindet.

GE/SH: Lassen Sie uns noch mal einen Blick zurück werfen. Wir wollen als heutige Ausstellungsmacher, die daran gewöhnt sind, mit dem Medium Video umzugehen, von Ihnen erfahren, wie der Kontakt damals unter den Kunstvermittlern war, wie Kuratoren miteinander umgegangen sind, gerade im Hinblick darauf, dass Ihr Themengebiet mit der Videokunst sehr spezifisch, neu und ungewöhnlich war, als Sie ab 1973 diesen renommierten Ort, den Kölnischen Kunstverein zu erobern hatten.
WH: Lassen Sie mich kurz schildern, wie ich überhaupt dazu kam: Ich habe über das Bauhaus und Oskar Schlemmer promoviert, und parallel den Katalog für die „50 Jahre Bauhaus“-Ausstellung für Dieter Honisch gemacht, dem damaligen Leiter des Kunstvereins in Stuttgart. Von dort kam ich ans Folkwang Museum in Essen, wo der Direktor Paul Vogt sich ein Video-Studio hatte schenken lassen. Plötzlich gab es, und wir reden von dem Jahr 1971, ein Video-Studio in einem Museum. Ich war nun dort der jüngste Mann, gerade gekommen, und sollte mich darum kümmern.
Aber was sollte man mit diesem Video-Studio anfangen? Vogt war der Meinung, man müsse pädagogische Filme zu unseren Bildern machen. Wir hatten ein wunderbares Eifelturm-Bild von Delaunay, und dann gab es die schönen Avantgarde-Filme der 1920er Jahre – der Kontext Bewegung, Eifelturm und Technik passte für Filme. Ich merkte allerdings sehr schnell, dass man als promovierter Kunsthistoriker zwar darüber etwas schreiben konnte, die Produktion eines Filmes über diese Zusammenhänge jedoch etwas völlig anderes bedeutete. Sehr bald fiel mein Augenmerk auf Gerry Schum, der nur 30 km entfernt in Düsseldorf lebte und eine ganz bestimmte Stilhaltung mit Video verband, eine inhaltliche Haltung, nämlich concept art, land art. Es gab also etwas, an das man anknüpfen konnte, und so rutschte ich in diese neue Videoszene hinein. Es war hoch spannend, was in Deutschland von Gerry Schum und ‚seinen‘ Künstlern im Sinne von concept art gemacht wurde. Gleichzeitig war ich begeistert von den neuen Ansätzen aus den USA, angefangen mit Nam June Paik, über Peter Campus, Bruce Naumann bis zu Dan Graham – z.B. auch Farbe, Closed Circuit, Schnittmöglichkeiten, Zeitverzögerung Blue Box alles videospezifische Möglichkeiten, die Gerry Schum mit seiner Stil-Vorstellung nicht einbeziehen wollte.
Dann kam „Projekt ´74“ , und meine Museums-Kollegen meinten, ich solle den Beitrag zur Videokunst kuratieren. Ulrike Rosenbach verstand sich eher als Performance-Künstlerin denn als Videokünstlerinnen, Video war zu der Zeit ein Medium unter vielen und eine Möglichkeit, sich künstlerisch auszudrücken. Das Publikum fand es zwar kompliziert und ein bisschen anstrengend, schaute sich die Videos aber gerne an. Ich bezog Videokunst mit ein, weil ich meinte, dass das bewegte Bild und der Klang zur Darstellung unserer Zeit gehört; dass Kunst nicht nur durch einen Bleistift oder auf einer Leinwand ausgedrückt werden kann. Für mich war klar, dass, wenn die Kunst sich mit unserer Zeit, mit Zitaten aus der Realität, der Filmwelt und des Fernsehens auseinandersetzen will, sich diese Dinge auch im Medium niederschlagen müssten.

GE/SH: Sie beschreiben diese Zeit, als sei ihre Arbeit von großer Akzeptanz getragen gewesen. Trotzdem haben sich Ihre Kollegen der Ausstellung „Projekt ‘74“ geweigert, die 103 Videokünstler, die Sie im Kölner Kunstverein gezeigt haben, mit in den Ausstellungskatalog aufzunehmen. Sie haben dann unter dem Titel „video tapes“ selber einen Katalog zu ihrem Part der Ausstellung herausgebracht. Diesen Umstand haben sie als „schlaglichtartige Beschreibung der damaligen Situation“ beschrieben, in der viele offensichtlich doch nicht so selbstverständlich mit Videokunst umzugehen wussten. An welcher Stelle mussten Sie sich durchsetzen, und wie haben Sie Akzeptanz schaffen können?
WH: Die Künstler haben sich durchgesetzt, und ich habe versucht, die Künstler sichtbar werden zu lassen, indem ich ihnen in Ausstellungen ermöglichte, Ideen zu realisieren, ich habe viele Vorträge über Videokunst gehalten, gerade auch mit Hilfe des Goethe Instituts und des ifa Stuttgart im Ausland. Denn, Sie beschreiben das schon richtig, der klassische Museumsmann der 1970er Jahre fand sie schrecklich, diese schwarz-weißen Bilder, die noch dazu Krach machten, in den heiligen, der stillen Malerei geweihten Hallen zu haben, um das noch einmal etwas ironisch zu zitieren. Alfred Nemeczek, stellvertretender Chef von ART schrieb damals noch „Zur Hölle mit der Videokunst“ – und brauchte 15 Jahre für seine Wandlung!
Die jungen Ausstellungsmacher waren Kollegen, die in den Kunstvereinen arbeiteten und dort in thematisch orientierten Ausstellungen politische Aspekte oder die Rolle der Frauen verhandelten. Die Frage einer thematischen Schärfung war damals sehr stark, und so zog 1977 Manfred Schneckenburger für die Documenta 6 den Umkehrschluss: Er verabschiedete sich von den Themen, fasste die Kunst unter medialen Gesichtspunkten zusammen und zeigte eine Übersicht der Fotografie, des Films und des Videos. Man kann sich kaum vorstellen, dass 1977 zum ersten Mal Fotografie auf der Documenta gezeigt wurde. In dieser Hinsicht verdeutlichte Schneckenburgers Konzept ein anderes Denken, welches sehr viel stärker auf Vermittlung und auf die Inhalte aus war, als vielleicht einen Einzelaspekt des Künstlers darzustellen.
In diesem Sinne war für mich 1974 bei „Projekt 74“ auch die Produktions-Möglichlkeit des Lijnbaan-Centrum aus Rotterdam ein entscheidend Punkt. Die standen 8 Stunden täglich allen Künstlern zur Produktion ihrer Videos zur Verfügung, zur Erprobung. Dies wurde sogar von wichtigen Künstlern wie Vito Acconci genutzt, der bei uns in Köln 10 Tage blieb, um drei Bänder zu produzieren, weil er selbst in den USA solche Möglichkeiten so nicht vorfand.
Hier gab es für 3 Monate das, was später dann in den USA, in Frankreich und England in den video labs selbstverständlich wurde, aber nicht in Deutschland, weil sich die Fernsehanstalten weigerten – eben etwas wie ein elektronisches Studio im akustischen Bereich, wie es das für die Musik beim WDR gab, auf den Videobereich zu übertragen. In Deutschland entstanden nur wenige, wie das Folkwang Museum in Essen oder das Lenbach-Haus, mit Helmut Friedel, oder eben der Kölnische Kunstverein mit mir als Produktions- und Präsentationsort, weil es eine nationale Struktur, die sich eigentlich daraus hätte entwickeln sollen, nicht gab. Es war ein großer Fehler des WDR als größter Rundfunk-Sender, nicht in diesem Bereich tätig zu werden.

GE/SH: Der nächste große Schritt ist die deutsche Videokunst-Ausstellung im Jahr 1983, die Sie im Kölnischen Kunstverein organisierten und die die Entwicklungen von 1963 bis 1982 zusammenfasste. Das war die erste Überblicks-Ausstellung, die es in dem Bereich in Deutschland gegeben hat.
WH: Der Anlass für diese Ausstellung war die Frage der Leute, was es denn eigentlich an Videokunst gäbe und wo man denn etwas sehen könne. In diesem Zusammenhang bestand ja schon immer das Problem, dass ein gemaltes Bild in einem Katalog, zwar klein und manchmal mit den falschen Farben abgebildet, zumindest erkennen lässt, was der Maler meint - eine Video-Installation dagegen ist dagegen kaum abzubilden und ein Videoband mit Ton, Zeitrhythmus und Bewegung ist mit drei Schwarz-Weiß-Fotos auch nicht darzustellen! Wie kann ich dem Publikum Informationen geben? Das geht nur durch permanente Videotheken – dankenswerterweise in Berlin im Neuen Berliner Kunstverein –, bis dato aber die einzige. Daher entschloss ich mich, einen Überblick zu geben. Zumal Sony als Sponsor bereit war, die Ausstellung großzügig durch die Ausstattung mit Geräten zu unterstützen – im Gegensatz zu deutschen Herstellern, obwohl die eine Ausstellung mit Unterstützung des BDI-Kulturkreises war.

GE/SH: 1989 später kamen Sie an die Nationalgalerie in Berlin. Es hatte sich in Bezug auf Videokunst bereits einiges geändert, Sie bekamen vom Verein der Freunde einen großzügigen Etat, um Videokunst anzukaufen, aber die Akzeptanz des Mediums war doch auch damals noch nicht durchgehend da.
WH: Das ganze war sehr berlinerisch. Es war ja wirklich erst kurz nach der Wende. Da gab es noch diese ganze „Malerei-Mafia“; alle Sammler in Berlin waren Lüpertz/Baselitz geprägt, die entsprachen deren Vorstellung von Kunst, und darum war die Akzeptanz in Berlin sicherlich auch schwieriger als anderswo herzustellen. Man muss aber dennoch zugestehen, dass mir der Verein der Freunde, mit seinem engagierten Vorsitzenden Peter Raue, damals eine Million Mark zur Verfügung stellte, so dass wir eine wirklich große Gruppe von Bill Viola, Gary Hill, Marie-Jo Lafontaine über die Deutschen Videokünstler bis hin zur Klangkunst und Bob Wilson haben kaufen können. Das ist heute natürlich singulär und auch und mit der zehnfachen Menge Geld nicht mehr zu erwerben, weil die Werke der großen Stars seit Jahren in festen Händen sind. Es gibt ja immer nur um eine Auflage von 2 oder 3 Stück, oder bei Peter Campus sogar nur um Unikate.

GE/SH: Sie waren von Anfang an Mitglied in der Vorschlags-Kommission des Bremer Böttcherstraßen-Preises, heute bekannt als Bremer Kunstpreis. Mehrheitlich haben Sie Videokünstler wie Klaus vom Bruch, Björn Melhus, Christian Jankowski, Korpys/Löffler oder Astrid Nippoldt vorgeschlagen. Aber erst 2005 hat Clemens von Wedemeyer als erster Videokünstler tatsächlich diesen Preis erhalten. Lag es am Medium, oder waren die anderen Künstler einfach die besseren?
WH: Aus langer Erfahrung mit Jurys wissen wir, dass am Ende die Entscheidung zwischen zwei Bewerbern getroffen werden muss, und hier dann immer auch andere Argumente mit reinspielen, warum man wen zum Preisträger macht. Da ich nicht in der Preisjury war, will ich auch die Jury nicht kritisieren. Auf der anderen Seite denke ich, dass ein Jankowski oder ein Melhus sich wunderbar durchgesetzt haben und freue mich, dass wir damals als erstes Museum ein Werk von Melhus haben ankaufen können. Man muss das sportlich sehen. Ich saß nun gerade beim Saar-Ferngas-Preis in der Jury, und dort waren unter den letzten diskutierten vier Künstlern drei, die mit Video arbeiten, und aus dieser Gruppe ging schließlich auch die Preisträgerin hervor.

GE/SH: Wir sprechen nun die ganze Zeit von Videokünstlern. Gibt es den Videokünstler per se eigentlich wirklich noch? Björn Melhus kann man vielleicht als solchen bezeichnen, aber selbst bei Marcel Odenbach, der weltweit als Videokünstler firmiert, wird es schwierig, wenn man sein – für ihn sehr wichtiges - zeichnerisches Werk mit einbezieht. Gerade die jüngere Generation entzieht sich zunehmend dieser Klassifizierung, weil sie alle künstlerischen Mittel gleichrangig verwendet.
WH: John Baldessari hat das ja auch schon so formuliert, und Bruce Nauman würden wir nun auch nicht als reinen Videokünstler bezeichnen. Natürlich sind seine Videowerke besonders stark und wichtig, aber seine großen Skulpturen und seine Environments sind sicher genauso bedeutend. Das erklärt, dass es immer Künstler gab, die gerne für bestimmte Lösungen ihrer Sichtweisen Ausdrucksformen wie das Video gewählt haben, und es gibt noch einmal sehr viel mehr Künstler, die mit dem Medium selbst arbeiten; beispielsweise alle found-footage-Besessenen, die die Realität von Film und Fernsehen thematisieren, variieren, karikieren, verarbeiten. Nennt man diese Künstler nun Videokünstler oder eher digitale Collagisten? Früher haben Künstler wie John Heartfield mit Fotografie gearbeitet, weil es keine andere mediale Möglichkeit gab.
Diese Offenheit in medialen Fragen gab es in den 1970er Jahren genauso, sie beschränkte sich in Bezug auf das Medium Video auf die Künstler, die bestimmte Themen bearbeiteten. In dem Moment, wo mich ein bestimmtes Thema interessiert, kann ich dieses nur mit Video bearbeiten. Wenn beispielsweise Girardet / Müller einen neuen Hitchcock produzieren wollen, ist von vornherein klar, dass das nur mit videodigitalem Material realisiert werden kann.

GE/SH: Die Videonale wurde 1984 von Studenten gegründet und behauptet sich nach 25 Jahren als internationales Videofestival. Wie haben sie die Videonale als Kurator wahrgenommen? Kann ein solches Festival als Fundquelle von neuesten Videowerken für Kuratoren hilfreich sein?
WH: Natürlich wäre es ideal, wenn es keine ‚Ghettos‘ geben würde. Da es aber so viel an Informationen zu vermitteln gibt, muss man sehr dankbar sein, dass es spezialisierte Ausstellungen, Festivals und Preise gibt. Ich würde mich auch freuen, wenn es mehr Ausstellungen gäbe mit Fokus auf das Medium Zeichnung oder auf das Künstlerbuch. Alle diese Ausstellungen machen Sinn, auch wenn man sich wünschen würde, dass die verschiedenen Medien in die großen Ausstellungen integriert würden. Der Nutzen eines solchen Festivals wie der Videonale ist, dass eine bestimmte definierte Gruppe aus 1.400 Einsendungen um die 45 Videos auswählt und damit ein mutiges Zeichen setzt, dass sie genau diese Arbeiten, heute, im Jahr 2009, als wichtig empfindet. Genau das ist es doch, was jeder von uns braucht, der Kurator und der interessierte Kunstbetrachter. Deshalb ist die documenta immer erfolgreich, weil jeder gerne hingehen will, um zu sehen, was mir ein, zwei intelligente Menschen als das präsentieren, was ich vielleicht kennen sollte. Einige sind mit dieser Form der Jurierung auf Grund der fehlenden Offenheit nicht einverstanden, aber es ist nun einmal der entscheidende Punkt, dass ein Festival einen Rang entwickelt und dementsprechend eine kompetent zusammengesetzte Jury diese Auswahl der 45 gezeigten Videos festlegt.
Deswegen bin ich auch immer für Preise, die einzelne Künstler als besonders herausragend in den Vordergrund stellen, um dem Besucher zu vermitteln, dass wir es als besonders lohnend empfehlen, auch wenn er nur wenig Zeit hat, diesen oder jenen Künstler anzuschauen. Dieser Mut zur Entscheidung war besonders vor 20 oder 30 Jahren oftmals umstritten, und es war ja auch bei dem Projekt „40jahrevideokunst.de“ einer der kritischen Punkte, weil auch dort minimiert und ausgewählt wurde und damit bestimmte Positionen eben nicht dabei waren. Diesen Mut zur Auswahl muss es geben, deswegen finde ich es äußerst wichtig, dass es Festivals wie die Videonale gibt.

GE/SH: Wie haben Sie die Anfänge der Videonale in Bonn wahrgenommen? Welche Auswirkungen hatte sie, gerade auch im Zusammenhang mit dem fast zeitgleich gegründeten Medien-Kunst-Preis in Marl und den noch früher gestarteten Aktivitäten am NBK in Berlin?
WH: Es war immer schon spannend zu schauen, was als nächstes kommt. Während Marl immer sehr deutschlandbezogen agierte, öffnete sich die Videonale relativ schnell der internationalen Produktion, was zu einer großen Diversität führte. Von daher haben sich meiner Meinung nach die beiden Wettbewerbe immer sehr gut ergänzen können.
Es wäre daher auch unklug, wenn Kuratoren diese Vorarbeit und diese Auswahl nicht nutzen würden, um zu filtern, was sie selbst für andere Schwerpunkte oder Erweiterungen bilden könnten. Die Szene ist so unglaublich breit; es gibt ja kaum eine Stadt ohne Biennale, ohne eigene Kulturzentren. Die Information hat heutzutage so in einem solchen Maße überhand genommen hat, dass man immer ordentlich hinschauen sollte.

GE/SH: Eine Frage zum Schluss, die genau diese von Ihnen gerade beschriebene Wertung fordert: Sie haben Nam June Paik anfangs kurz erwähnt. Ist er der größte Videokünstler, den wir je hatten?
WH: Natürlich hängt mein Herz sehr an Nam June Paik als einer Figur, die so vieles erstmalig und mit Witz und Intelligenz ausprobiert hat und damit so viele Felder eroberte, die andere wiederum haben nutzen können. Nam June Paik war eine beeindruckende, bescheidene, intelligente und humorvolle Künstlerpersönlichkeit, die für jüngere Künstler immer unheimlich motivierend und anregend war. Eine seiner großen Bedeutungen liegt darin, dass er auf fast allen Feldern, ob in Bezug auf ‚closed circuit’ oder in Bezug auf die Nutzung oder auch die Vermeidung der Technologie – indem er alles rausschmiss und nur eine Kerze hinstellte – erste Setzungen machte, die die folgenden Künstlergenerationen aufgreifen, verwandeln und erneuern konnten.

GE/SH: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.